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Antisemitismus in Europa nach wie vor virulent

Wer glaubt, dass der Antisemitismus tot ist, so tot wie fast die letzten Nazis, die diesen Planeten noch bevölkern? In der Europäischen Union erfreut er sich jedenfalls bester Gesundheit.

In Griechenland sind es vor allem Neonazis, die mit antisemitischen Aktionen in den Vordergrund treten. Friedhofsschändungen und Schmierereien an Mahnmalen sind an der Tagesordnung, ebenso das öffentliche Leugnen der Shoah. Die “Goldene Morgenröte” ist zwar inzwischen aufgrund ihrer offenen Kriminalität von der Bildfläche verschwunden, aber auch prominente Mitglieder des griechisch-orthodoxen Klerus üben sich in der Verbreitung antisemitischer Positionen.

Auch andere Länder erleben immer wieder Aufwallungen von Antisemitismus. In Ungarn hat sich die Zahl antisemitischer Zwischenfälle von 2012 auf 2013 verdoppelt. Grabschändungen, Absingen antisemitischer Lieder auf den Straßen und das Verbrennen der israelischen Flagge auf Kundgebungen sind nur die Kulisse für direkte Angriffe auf jüdische Bürgerinnen und Bürger einerseits und antisemitische Statements aus Regierungs- und Parlamentskreisen andererseits.

Vor einigen Tagen gedachten wir der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar. Einer Umfrage in Polen zufolge, die aus diesem Anlass durchgeführt wurde, glauben 63 % der Polen, dass eine “jüdische Verschwörung” zur Kontrolle der Banken und Medien weltweit erfolgreich im Gang ist. 18 % halten die Juden für verantwortlich für den Tod von Jesus von Nazareth. 13 % sind sogar immer noch von der aus dem Mittelalter stammenden Annahme überzeugt, dass Juden Rituale mit dem Blut von Christen veranstalten.

Auch die üblichen negativen Einstellungen gegenüber Israel, mit denen antisemitische Überzeugungen ihren “politisch korrekten” Ausdruck finden, fehlten nicht. 21 % der Befragten zogen die bekannte Parallele: Israel behandle die Palästinenser nicht anders als Hitler die Juden behandelt habe. 35 % äußerten die Überzeugung, Israel würde zur Durchsetzung seiner zerstörerischen Politik vor keinem Mittel haltmachen. Die repräsentative Umfrage wurde vom Warschauer Zentrum für Vorurteilsforschung vorgenommen. Der Abgeordnete Michael Pilvic trug sie jetzt dem polnischen Parlament vor.

Der Europawahlkampf sollte Anlass geben, diese Entwicklungen in Europa zu thematisieren und konzertierte Maßnahmen dagegen zu fordern. Aber zumindest in Deutschland halten sich die Parteien ziemlich zurück. Selbst bei Bündnis 90/DIE GRÜNEN blieb ein entsprechender Änderungsantrag zum Wahlprogrammentwurf bisher ohne große Resonanz.