Am 15. Mai 1944 beschloss die Lagerleitung in Auschwitz-Birkenau, das “Zigeunerlager” aufzulösen und alle Insassen umzubringen, um Platz für aus Ungarn verschleppte Juden zu schaffen. Der Führer des “Zigeunerlagers”, SS-Mann Bonigut, war gegen die Entscheidung gewesen und warnte einige Blockälteste, damit sie sich nicht lebend auslieferten. Am 16. Mai wurde “Blocksperre” angeordnet. Niemand durfte die Baracken verlassen. Der heute 77jährige Hugo Höllenreiner erinnert sich: “Es hat geheißen, das ganze Lager wird vergast. Wir waren hinten, von uns aus gab es noch drei Baracken. Das waren Zugangsblöcke für die Neuankömmlinge, wo ihnen die Nummern auf den Arm tätowiert wurden, bevor sie in andere Blöcke kamen. Die drei Blöcke waren voll mit ungarischen Roma. In der Nacht kamen die Lastwagen rein, haben umgedreht, die Menschen aufgeladen. Die wussten ja nicht… die haben sich ohne weiteres aufladen lassen. Dann sind die Lastwagen einer nach dem anderen rausgefahren, zum Krematorium, da sind die Leute vergast worden. Ein Block war leer, der nächste, der nächste, jetzt ist der Lastwagen bei uns vorgefahren, gebremst, stehengeblieben. Am Eingang ganz oben war unser Schlaflager. Mama hat uns alle festgehalten: ›Bleibt alle hier, bleibt alle hier.‹ Ich habe oben gebibbert, wir haben ja gewusst. Ich habe von der Buchse runtergeschaut und Papa stand unten, gerade, mit dem Pickel in den Händen, und einer seiner Brüder mit einem Schaufelstiel, einer links, einer rechts. Dann kam noch ein kleinerer Mann dazu. Draußen gingen sie auf das Tor zu, bestimmt sieben, acht Mann. Der Papa hat einen Schrei losgelassen. Die ganze Baracke hat gezittert, so hat er geschrieen: ›Wir kommen nicht raus! Kommt ihr rein! Wir warten hier! Wenn ihr was wollt, müsst ihr reinkommen!‹ Die blieben stehen, es war still. Nach einer Weile kam ein Motorrad angefahren, die unterhielten sich draußen. Dann sind sie weggefahren, der Lastwagen ist weitergefahren. Wir haben alle aufgeatmet. Die anderen sechs Brüder von Papa waren in anderen Blöcken. Jeder in seinem Block hat sich mit einem Werkzeug in der Hand vorn hingestellt und gewartet, bis einer kommt. Sie haben es sich später erzählt. Onkel Konrad muss auch so geschrieen haben: ›So leicht machen wir es euch nicht! Kommt nur rein!‹ Wir haben Freudensprünge gemacht. Da bin ich heute noch stolz drauf, das hat es selten gegeben, dass sich die Leute gewehrt haben. Die Sinti wollten sich noch einmal wehren. Wenn die SS aufgemacht hätte, hätte sie höchstens reinschießen können. Aber von ihnen wären auch ein paar umgebracht worden. Wir haben gewusst, vielleicht machen sie was Neues, aber so leicht nicht. Weil sie merken, die Sinti kämpfen und von ihnen gehen auch ein paar drauf.”
Hugo Höllenreiner überlebte nicht nur Auschwitz-Birkenau, sondern auch noch Ravensbrück, Mauthausen und schließlich das Hungerlager Bergen-Belsen. Am 10. Februar 2012 um 20 Uhr im Gemeindesaal von Landesbergen berichtet er über sein Leben als Sinti in Deutschland.
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